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Der Kollaps der Silicon Valley Bank: Auswirkungen auf deutsche Startups

Was ist passiert?

Am 10. März 2023 wurde die Silicon Valley Bank (SVB) in den USA und ihre Tochter in Großbritannien (SVB UK) unter die Aufsicht staatlicher Aufsichtsbehörden gestellt, um einen in dieser Plötzlichkeit und Geschwindigkeit nie dagewesenen Bankenrun aufzuhalten. Auszahlungen von Guthaben in Milliardenhöhe waren seither nicht möglich und standen plötzlich auf dem Spiel.

Dem Eingreifen der Aufsichtsbehörden war ein massiver Einbruch des Aktienkurses der SVB am Vortag vorangegangen. Unmittelbarer Auslöser hierfür war die Veröffentlichung geplanter Rekapitalisierungsmaßnahmen der SVB zur Deckung von Kurseinbrüchen langfristiger Staatsanleihen der USA, in die die SVB die Kundengelder in hohem Ausmaß investiert hatte. Das hatte offensichtlich bei vielen Betroffenen die Sorge hervorgerufen, die Einlagen könnten nicht mehr vollumfänglich gedeckt sein. Die Medien berichten seitdem im Stundentakt auf allen Kanälen. Die Informations- und Meinungsflut in den Netzwerken und sozialen Medien ist uferlos.

Während des Wochenendes haben die Behörden in den USA und in Großbritannien reagiert, um die Kunden der SVB zu beruhigen, weitere Dominoeffekte aufzuhalten und das Banken- und Finanzsystem zu stabilisieren. In beiden Ländern können Kunden wohl sehr kurzfristig wieder auf all ihre Einlagen zugreifen, und damit ersten Befürchtungen zuwider über die Mindesteinlagensicherung von USD 250.000 (USA) bzw. GBP 85.000 (UK) hinaus.

In Großbritannien wurde mit der HSBC sogar bereits eine Käuferin für die SVB UK gefunden. Eine Lösung für das in den USA ansässige Hauptgeschäft der SVB (SVB USA) steht aus und so hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) unmittelbar nach dem Wochenende die deutsche Niederlassung der SVB USA für den Kundenverkehr geschlossen (Moratorium), bis die weitere Entwicklung für die Geschäfte der SVB USA geklärt ist.

Die Befürchtung, der Zusammenbruch der SVB könne aufgrund ihrer Bedeutung für die Techindustrie im Silicon Valley und darüber hinaus ein sofortiges Massensterben eines Großteils der Tech-Branche zur Folge haben, scheint trotz anhaltender Spekulationen über die längerfristigen Auswirkungen auf die Finanzwelt und das Startup-Ökosystem zunächst vom Tisch.

Welche Auswirkungen hat der Kollaps für deutsche Startups?

Im Folgenden beantworten wir die derzeit wichtigsten Fragen für das deutsche Ökosystem.

Welche deutschen Startups sind von dem Kollaps der SVB unmittelbar betroffen?

Von dem Kollaps der SVB werden in Deutschland vor allem Startups betroffen sein, die Kredite bei der SVB aufgenommen haben. Sie sollten ihre Liquiditätssituation jetzt sehr genau im Blick haben (Details weiter unten).

Die SVB durfte mangels Vollbanklizenz hierzulande keine Einlagen annehmen. Deutsche Startups hatten vor allem Konten bei der SVB UK, um Negativzinsen in Deutschland zu vermeiden, oder um das Auslandsgeschäft in den USA oder in Großbritannien abzuwickeln.

Was gilt es zu beachten, wenn man ein Bankkonto bei der SVB hat?

Auf die Guthaben wird man nach Aussage der Aufsichtsbehörden kurzfristig in voller Höhe zugreifen können. Trotz dieser Zusagen sollte man die Entwicklungen verfolgen und – zumindest bei nennenswerten Guthaben – lokale Anwälte einschalten, die die Situation besser einschätzen können. Wir stellen gern entsprechende Kontakte her.

Nennenswerte Guthaben sollten grundsätzlich auf verschiedene Finanzinstitute verteilt werden (Risikostreuung). Hierbei gilt zu beachten, dass zusätzlich zu der gesetzlichen Einlagensicherung von EUR 100.000 je Einleger die privaten Einlagensicherungen deutscher Privat-Banken mit deutlich höheren (institutsspezifischen) Sicherungsgrenzen operieren. So gelten im Grundsatz für private Einleger ein Sicherungsminimum von EUR 750.000 je Einleger und Institut mit einem höchstmöglichen Entschädigungsbetrag von EUR 5 Mio. für die privaten Einleger, Stiftungen und Gesellschaften bürgerlichen Rechts. Für alle anderen Einleger (Unternehmen der Realwirtschaft) gilt grundsätzlich eine Höchstgrenze von EUR 50 Mio. Die Höchstgrenzen werden stufenweise bis zum Jahr 2030 auf EUR 1 Mio. für private Kunden und EUR 10 Mio. für Unternehmen reduziert. Kunden von Sparkassen- und Genossenschaftsbanken profitieren von deren eigenständigen Sicherungssystemen. Konkrete Auskunft zum Schutzumfang kann man bei den jeweiligen Banken einholen.

Läuft der Zahlungsverkehr über ein Konto der SVB, sollte schnellstmöglich ein Konto bei zumindest einer weiteren Bank eröffnet und der Zahlungsverkehr (Eingang von Kundengeldern, Lastschriften, Verknüpfung mit Paypal und sonstigen Zahlungsdiensten etc.) dorthin migriert werden. Auch hier können lokale Anwälte – zu denen wir gerne Kontakt vermitteln – wertvolle Unterstützung leisten.

Können Startups bislang nicht ausgezahlte Kredite in Anspruch nehmen?

Die Kreditverträge deutscher Startups mit der SVB sind in der Regel mit der deutschen Niederlassung der SVB abgeschlossen und profitieren damit nicht von der Veräußerung der SVB UK an die HSBC. Startups sollten sich nicht darauf verlassen, auf noch nicht in Anspruch genommene Kreditbeträge zugreifen zu können. Zumindest derzeit werden weder in den USA noch in Deutschland Kredite ausgezahlt. Ob sich hieran etwas ändert (wofür es erste Anzeichen gibt), hängt maßgeblich von der Zukunft der SVB USA und der deutschen Niederlassung ab und ist derzeit ungewiss.

In Großbritannien stellt sich die Situation aufgrund des Verkaufs der SVB UK an die HSBC anders dar: Hier bleibt zu hoffen, dass die HSBC bestehende Kreditverhältnisse fortführt und zeitnah wieder Auszahlungen ermöglicht. Auch diese Situation ist derzeit allerdings unklar und sollte – unter Zuhilfenahme englischer Anwälte – analysiert werden, insbesondere auch aufgrund von vertraglichen Besonderheiten in den englisch-rechtlichen Kreditverträgen der SVB. Siehe hierzu ausführlich das Briefing von Withers vom 13. März 2023

Müssen derzeit Zinsen und Tilgung unter bestehenden Krediten geleistet werden?

Im Grundsatz sind Zahlungspflichten von Startups gegenüber der SVB derzeit nicht ausgesetzt. Aufrechnungsmöglichkeiten und Zurückbehaltungsrechte der Kreditnehmer sind in Kreditverträgen meist stark eingeschränkt und müssten im Einzelfall auf Basis des jeweiligen Vertrags geprüft werden. Man kann Startups daher derzeit guten Gewissens nicht empfehlen, Zahlungen einfach auszusetzen.  Das mag bei Vielen auf Unverständnis stoßen, aber bei Fälligkeit nicht geleistete Zahlungen führen unter Kreditverträgen in aller Regel unmittelbar (oder bestenfalls nach sehr wenigen Tagen) zu einem Kündigungsrecht des Kreditgebers. Und eine Kündigung würde in vielen Fällen, in denen Startups nicht die zur vollständigen Rückführung notwendige Liquidität zur freien Verfügung haben, der SVB die Inanspruchnahme etwaiger Sicherheiten erlauben und unmittelbar zur Zahlungsunfähigkeit der betroffenen Startups führen (und damit eine Insolvenzantragspflicht auslösen).

Steht zu befürchten, dass die SVB bestehende Kredite kündigt?

Wir halten es für unwahrscheinlich, dass bestehende Kredite von der SVB bzw. den Aufsichtsbehörden (ein entsprechendes (Sonder-)Kündigungsrecht vorausgesetzt) kurzfristig gekündigt und in der Folge von den Startups zurückgezahlt werden müssen.

In den USA und Deutschland werden die Aufsichtsbehörden zunächst kein Interesse an einer Kündigung der Kredite haben, weil Kredite letztlich die Assets der Bank darstellen, für die sie gerade Käufer bzw. Investoren suchen. Eine Kündigung bestehender Kredite würde in vielen Fällen Insolvenzen mit unsicheren Befriedigungsaussichten der SVB zur Folge haben, d.h. eine Kündigung wäre aus Sicht der SVB nicht wertmaximierend und es müssten sogar Rückstellungen für potentielle Ausfälle gebildet werden. Warrants (Optionsrechte) oder sonstige Rechte, mit denen Venture Debt-Anbieter an einer steigenden Bewertung von Startups profitieren, verlören in aller Regel ihren Wert. Das scheint in der aktuellen Situation nicht im Interesse der Aufsichtsbehörden bzw. möglicher Käufer der SVB zu sein. Die Situation bleibt allerdings unsicher und sollte weiterhin verfolgt werden.

In England wird die HSBC den Geschäftsbetrieb der SVB UK voraussichtlich zunächst wieder aufnehmen und im Laufe der Zeit prüfen, ob bestehende Kreditbeziehungen fortgeführt oder (einzeln oder gebündelt) an Investoren verkauft werden sollen.

Treten jetzt die Distressed Debt-Investoren auf den Plan und nutzen die Situation, um Startups zu übernehmen?

Fonds und sonstige Investoren, deren Strategie der Erwerb notleidender Kredite zur Übernahme der Kreditnehmer (sog. Loan-to-Own-Strategie) ist, werden an den Venture Debt-Krediten der SVB an deutsche Startups allenfalls in Ausnahmefällen Interesse haben. Zum einen ist die Verpfändung der Anteile des Startups unüblich und die Vollstreckung in verpfändete Anteile in Deutschland mit großen Unwägbarkeiten verbunden. Eine Loan-to-Own-Strategie ist in diesen Fällen technisch schon kaum umsetzbar. Zum anderen hängen jedenfalls junge Startups in der Regel stark vom Gründerteam ab und werden ohne dieses nur selten Erfolg haben. Vor einem Erwerb müssten Distressed Debt-Investoren daher jeweils die Konditionen zum Verbleib des Gründerteams ausverhandeln. Zudem sind Insolvenzen sind kein geeignetes Fall-Back-Szenario für diese Investoren, weil hohe Verluste drohen. Das gilt nicht nur bei sog. Asset-Light-Geschäftsmodellen (SaaS und sonstige Software, etc.), sondern auch in den Fällen, in denen die das Sicherheitenpaket ausmachenden Vermögenswerte in der Insolvenz kaum einen Wert haben.

Es bleibt abzuwarten, welche Investoren Interesse an einer Vielzahl kleiner Kredite entwickeln, die – gemessen am Kreditvolumen – einen verhältnismäßig hohen Betreuungsaufwand erfordern. Für viele Hedge Funds oder sonstige Alternative Capital Provider wird das logistisch kaum darstellbar sein. Es wäre wünschenswert, wenn sich auch in den USA eine Großbank fände, die über den Erwerb der SVB USA (und der deutschen Niederlassung) in den Tech-Sektor einsteigen und das Ökosystem weiterhin mit Krediten stärken würde.

Was müssen Startups mit einer dünnen Liquiditätsdecke beachten?

In Deutschland herrschen bei Eintritt von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung strenge Insolvenzantragspflichten, deren Missachtung eine persönliche Haftung der Geschäftsführer und sogar strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann.

Bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ist spätestens nach drei Wochen Insolvenzantrag zu stellen. Zumeist besteht aber bereits vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit eine Insolvenzantragspflicht, weil Unternehmen häufig schon vorher überschuldet sind. Eine rein rechnerische Überschuldung liegt in vielen Fällen vor, weil Aktiva im Überschuldungsstatus grundsätzlich mit Zerschlagungswerten anzusetzen sind. Es kommt dann im zweiten Prüfungsschritt entscheidend darauf an, ob Startups eine positive Fortbestehensprognose haben – im Ergebnis also auf eine Prognose der Liquiditätssituation. Der Zeitraum, in dem ein Startup mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durchfinanziert sein muss, ist derzeit vorübergehend (von zwölf) auf vier Monate reduziert, und die Frist zur Insolvenzantragsstellung (von sechs) auf bis zu acht Wochen verlängert. Siehe hierzu unser Briefing vom 20. Januar 2023.

Vor dem Kollaps der SVB konnten sich Startups darauf verlassen, vertraglich zugesagte Kredite bei Bedarf in Anspruch nehmen zu können. Es ist derzeit zumindest ungewiss, ob diese Liquiditätsquelle aktuell noch mit überwiegender Wahrscheinlich zur Verfügung steht. Gründer:innen werden sich hierauf auch aufgrund der persönlichen Haftungsrisiken nicht verlassen wollen. Die Fortbestehensprognose sollte sich daher idealerweise auf andere Liquiditätsquellen stützen lassen.

Details hängen stark von den individuellen Umständen im jeweiligen Fall ab, weshalb bei sich abzeichnenden Liquiditätsengpässen frühzeitig entsprechende Beratung in Anspruch genommen werden sollte. Dies schon allein um notwendige Reserven für strafbewährte Zahlungspflichten (z.B. gewisse Steuern, Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung) zu schaffen und Haftungsrisiken möglichst gering zu halten. Daneben kann ein Blick in die D&O-Versicherungspolice Sinn haben, um zu prüfen, ob von dieser auch Ersatzansprüche für Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife (§ 15b InsO bzw. § 64 GmbHG a.F.) umfasst sind.

Über welche alternativen Liquiditätsquellen sollten Startups nachdenken?

Unmittelbar nach der Übernahme der SVB durch die Aufsichtsbehörden haben andere Anbieter von Venture Debt und sonstigen Finanzierungen für Wachstumsunternehmen in Aussicht gestellt, kurzfristige Lösungen zur Verfügung zu stellen, um einen Zusammenbruch des Startup-Ökosystems zu verhindern. Der Fokus dieser Anbieter wird sich derzeit wahrscheinlich von einer sehr kurzfristigen Lösung für die nunmehr gesicherten Guthaben auf Refinanzierungsmöglichkeiten für bestehende SVB-Darlehen verlagern. Wir kennen viele dieser Anbieter persönlich und stellen bei Bedarf gern Kontakt her.

Um sich möglichst viele Optionen zu schaffen, empfiehlt es sich, die für eine Due Diligence wesentlichen Informationen und Unterlagen (KPIs, Entwicklung, Burn Rate, Business- und Liquiditätsplanung etc.) zusammenzustellen bzw. zu aktualisieren. Wir rechnen damit, dass viele dieser Anbieter (ggfs. aber auch Bestandsinvestoren) eine Refinanzierung zumindest von einer begrenzten Due Diligence abhängig machen werden.

Bei sehr kurzfristigem Liquiditätsbedarf muss auf andere Liquiditätsquellen zurückgegriffen werden. Neben Krediten bzw. Zahlungszielverlängerungen von Kunden und Lieferanten (Hardware) kommen insbesondere bei Startups mit regelmäßigen Umsätzen auch umsatzbasierte Kreditlösungen (sog. Revenue-based Financing) und klassisches Factoring in Betracht. Daneben werden Gründer:innen in vielen Fällen schon allein auf Grund der wenigen zur Verfügung stehenden Zeit auf ihre Bestandsinvestoren zugehen und über Überbrückungskredite, Wandeldarlehen, Patronatserklärungen oder sonstige Finanzierungszusagen sprechen müssen.

Ist eine Refinanzierung bestehender SVB-Darlehen zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll?

Eine vorzeitige Refinanzierung bestehender SVB-Kredite oder zumindest die Sondierung entsprechender Angebote könnte angezeigt sein, solange die Zukunft der SVB USA und der deutschen Niederlassung ungewiss ist. Eine vorzeitige Rückführung ist zwar meist mit Gebühren (sog. Prepayment Fees) verbunden. Bei vielen Darlehen der SVB liegen diese Gebühren in Abhängigkeit von der noch verbleibenden vertraglichen Restlaufzeit des Darlehens aber im geringen einstelligen Prozentbereich. Das kann man mit einem kurzen Blick in den Vertrag schnell klären.

Nutzen Startups Akkreditive (Letters of Credit) zur Finanzierung ihres Geschäftsbetriebs, sollten diese schnellstmöglich ersetzt werden.

Fazit

Für betroffene Startups schließt sich an den ersten Schock nun eine Phase der Ungewissheit an, die zu mitigieren ist. Eine kurz- und mittelfristige Liquiditätsplanung unter Zugrundelegung der aktuellen Sensitivitäten ist jetzt essenziell, um im richtigen Zeitpunkt alternative Liquiditätsquellen verfügbar zu haben. Auch in der Krise gilt, was leichter gesagt als in der Praxis umgesetzt ist: Cash is king.

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